Rocío

Ausgewählt und vorgestellt von Alejandro Alvarado & Concha Barquero

Wir trafen Fernando Ruiz Vergara im Sommer 2010, ein Jahr vor seinem Tod, in einem kleinen portugiesischen Dorf. Wir hatten vor, den Regisseur des Films Rocío (1980) für eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Zensur im Dokumentarfilm zu interviewen. Der Fall von Ruiz Vergaras Film ist paradigmatisch und ungewöhnlich zugleich. Der Dokumentarfilm über die berühmteste religiöse Pilgerstätte der Iberischen Halbinsel wurde 1981, mitten in einer Demokratie, gerichtlich beschlagnahmt, und sowohl das Werk als auch sein Autor waren in der Folge Gegenstand eines Verfahrens, das für beide verheerende Konsequenzen nach sich zog. Der Vorwurf der üblen Nachrede und Ehrenbeleidigung stützte sich auf eine Beschwerde von Verwandten eines Einwohners von Almonte (Andalusien), der in dem Dokumentarfilm als Rädelsführer faschistischer Unterdrückung in der Stadt kenntlich gemacht wurde. Das Gerichtsurteil verlangte, drei Stellen des Originalfilmmaterials von Rocío herauszuschneiden. Heute, 40 Jahre nach dem Prozess, ist die Projektion des kompletten Films immer noch in Spanien verboten. Fernando Ruiz Vergara führte nie wieder Regie bei einem Film.

Für viele, uns eingeschlossen, ist Ruiz Vergaras einziges vollendetes Werk mehr als dieser verteufelte, verbotene und zensierte Film. Es ist ein besonderer, starker, roher und sinnlicher Film, der sich vor allem aber auch mit der Weltsicht seines Autors deckt. Rocío rückt nach wie vor Themen ins Blickfeld, die wir als Bürger:innen und Filmemacher:innen als wesentlich erachten, wie Meinungsfreiheit, historische Erinnerung und die ungelösten Probleme unserer jüngeren Vergangenheit, dringliche Fragen der Öffentlichkeit, für die wir uns mit unserer Arbeit engagieren. Nach vier Jahrzehnten schwimmt Rocío immer noch gegen den Strom und ruft uns die Macht einer unverzichtbaren Stimme des Widerspruchs ins Gedächtnis.

Fernando Ruiz Vergara
01:20:00